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Neurosomatische Prinzipien – Körperwissen als Ressource in der Begleitung

  • Autorenbild: Barbara Fereberger
    Barbara Fereberger
  • 8. Sept.
  • 3 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 12. Nov.

Wie gelebte Körperwahrnehmung Beziehung, Präsenz und Wirksamkeit stärkt



In meiner Arbeit als Klinische Psychologin und Somatic Experiencing® Practitionerin habe ich über viele Jahre gelernt, dem Körper zuzuhören – nicht nur im therapeutischen Kontext, sondern in jeder Begegnung. Denn der Körper erzählt Geschichten, lange bevor sie in Sprache gefasst werden können. Er erinnert, schützt, reagiert, gleicht aus – manchmal klüger, als es unser Denken vermag. Diese Erfahrung bildet das Fundament neurosomatischer Arbeit: die Einsicht, dass Entwicklung, Heilung und Beziehung nicht „vom Kopf“ ausgehen, sondern dort beginnen, wo Körperwissen wieder Platz bekommt.


Der Körper als lebendiges Navigationssystem


Unser Nervensystem verarbeitet in jeder Sekunde unzählige Sinneseindrücke, bewertet sie und leitet daraus Handlungsimpulse ab. Die meisten dieser Vorgänge geschehen unbewusst – und doch prägen sie unsere Haltung, unseren Ausdruck, unseren Kontakt. Wenn wir lernen, diesen Prozessen zuzuhören, können wir sie nutzen: als Kompass für unser Handeln, als Wegweiser in unklaren Situationen.


Ein Beispiel aus meiner Arbeit:

Eine Teilnehmerin in einem Seminar erzählt, sie fühle sich „ständig müde und gereizt“. Anstatt über Ursachen zu sprechen, lade ich sie ein, einfach wahrzunehmen, wie sie sitzt, wie sie atmet, wo Spannung spürbar ist. Nach wenigen Atemzügen verändert sich etwas: die Schultern sinken, der Atem vertieft sich, das Gesicht wird weicher. Kein Wort wurde gesagt – und doch hat sich etwas reguliert.


Das ist Körperwissen in Aktion: eine subtile, aber wirksame Rückmeldung des Nervensystems, die uns zeigt, wo wir stehen und was wir brauchen.


Vom Tun ins Spüren – ein Paradigmenwechsel


Viele Fachkräfte, mit denen ich arbeite, sind hoch engagiert. Sie wissen viel, wollen helfen, arbeiten lösungsorientiert – und geraten genau dadurch oft selbst unter Druck. Neurosomatische Prinzipien laden dazu ein, weniger zu tun und mehr zu spüren. Nicht, weil weniger Wirkung das Ziel wäre, sondern weil Präsenz manchmal mehr bewegt als jedes Eingreifen.


In der Praxis bedeutet das, den eigenen Körper als Resonanzraum zu verstehen:

Ich bemerke, wann mein Atem stockt, wann ich in Anspannung gehe, wann ich innerlich weiter werde. Diese Selbstwahrnehmung ist kein Selbstzweck – sie verändert die Beziehung.

Denn wenn ich in mir ruhe, kann auch das Nervensystem des Gegenübers sich orientieren.


Wissenschaft trifft Erfahrung


Neurosomatische Prinzipien verbinden moderne neurobiologische Erkenntnisse, etwa aus der Polyvagal-Theorie, mit gelebter Körperpraxis.

Dabei geht es nicht darum, Fachwissen theoretisch zu reproduzieren, sondern es erfahrbar zu machen. Der Körper wird zum Ort des Lernens: durch Beobachtung, Bewegung, Atmung, Kontakt. Das Besondere an dieser Herangehensweise ist ihre Einfachheit.

Sie erfordert kein besonderes Setting, keine komplizierte Technik.


Ein kurzer Moment der Stille, eine bewusste Ausrichtung, ein Atemzug – all das kann genügen, um das Nervensystem neu zu orientieren. Je öfter Menschen diese Erfahrung machen, desto stabiler wird ihre innere Regulation. So entsteht eine Körpererinnerung an Sicherheit, die auch in Stressmomenten abrufbar bleibt.


Das Prinzip der Integration


„Integration“ bedeutet im neurosomatischen Sinn, Gegensätze in Verbindung zu bringen:

Wissen und Fühlen, Aktivität und Ruhe, Nähe und Distanz, Selbst und Beziehung.

Es geht nicht um Perfektion, sondern um die Fähigkeit, das eigene Erleben halten zu können.

In der Begleitung zeigt sich das ganz praktisch: Wenn ich mit einem Menschen arbeite, dessen System hoch aktiviert ist, braucht es manchmal keine Worte, sondern einen stabilen Atemzug, eine klare Haltung, eine ruhige Präsenz. So entsteht Vertrauen – nicht als Konzept, sondern als körperlich spürbare Erfahrung.


Körperwissen kultivieren – auch für Fachkräfte


In der TAKT Weiterbildung erleben Teilnehmende immer wieder, wie sehr das eigene Nervensystem das Werkzeug der Arbeit ist. Die neurosomatische Haltung stärkt nicht nur Klient:innen, sondern schützt auch die Fachkräfte selbst. Sie lernen, ihre Energie zu dosieren, Anspannung früh zu erkennen und Erholung bewusst einzuleiten. Diese Selbstfürsorge ist kein Luxus – sie ist Voraussetzung für tragfähige, wirksame Beziehungen.


Schlussgedanke


„Neurosomatische Arbeit erinnert uns daran, dass Wissen erst dann Kraft entfaltet, wenn es im Körper ankommt.“


Hinweis:


In der Weiterbildung in TAKT Neurosomatische Integration® werden neurosomatische Prinzipien erfahrbar vermittelt. Fachkräfte lernen, Körperwissen als Ressource zu nutzen – für sich selbst, für Ihr Team und für die Menschen, die Sie begleiten.

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